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Betreuung: Prof. Dr. Martin Sökefeld
Förderung: Schweizerischer Nationalfonds SNF, Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG
Promotionsprojekt:
Das "Zuhause" im Kontext von Katastrophe und Politik: Lokale Strategien im Umgang mit "dem Staat" nach dem Erdbeben 2005 in Azad Kashmir.
Katastrophenbewältigung und Wiederaufbau sind (auch) politische Prozesse. Nach dem schweren Erdbeben wurde die betroffene Bevölkerung in viele staatliche Maßnahmen, internationale Hilfsprogramme und Projekte von NGOs eingebunden. Diese Interventionen implizieren auch eine Erweiterung der staatlichen Bürokratie, die sich im Dienste der „Verwaltung der Katastrophe und ihrer Folgen“ legitimiert. Dieser „erweiterte Staat“ wurde größtenteils unter Mitwirkung von internationalen Organisationen geschaffen und durch internationale Gelder finanziert. Im Kontext des Wiederaufbaus werden lokale AkteurInnen somit verstärkt mit „dem Staat“ und seiner „Katastrophenbürokratie“ konfrontiert.
Im Rahmen einer Sozialanthropologie des Staates gehe ich der Frage nach, wie sich „der Staat“ im Alltag des Wiederaufbaus nach dem Erdbeben manifestiert. Im Zentrum der Betrachtung stehen dabei die (alltäglichen) Begegnungen zwischen lokalen und staatlichen AkteurInnen im Kontext von Wiederaufbauprogrammen und die lokalen Wahrnehmungen und Repräsentationen „des Staates“, die diese Interaktionen begleiten.
Meine Forschung in der Stadt Muzaffarabad (Azad Kashmir) beschäftigt sich mit Perspektiven und Strategien der Katastrophenbewältigung und des Wiederaufbaus von „Haushalten“, die eine wichtige target group staatlicher Politik und Intervention, hauptsächlich im Bereich des Wiederaufbaus von Wohnhäusern, darstellen. Der (Wiederauf-)Bau eines Hauses ist ein sozialer Prozess, der eng mit der Geschichte und aktuellen sozialen, ökonomischen und politischen Situation eines „Haushalts“ sowie gesellschaftlichen Vorstellungen des „Zuhause“ und Idealen des familiären Zusammenlebens verknüpft ist. Die staatliche Housing Policy wirkt vielfältig auf diesen sozialen Prozess ein. Haushalte bedienen sich strategisch der staatlichen Hilfeleistungen oder müssen oft auch ohne Unterstützung auskommen. Zudem verweigern sich Haushalte Projekten, die ihren Interessen zuwiderlaufen. Formen des Widerstands gegen „den Staat“ bedienen sich häufig informellen Methoden wie „Klatsch und Tratsch“ (gossip), Gerüchten (rumour), die in Nachbarschaften und Verwandtschaften kursieren, sowie der Sabotage und Manipulation von Projekten, indem Beamte etwa gemieden, bestochen und in Projekterhebungen „belogen“ werden.
Neben diesen alltäglichen und „verdeckten“ Formen des Widerstands von Haushalten der unteren gesellschaftlichen Schichten beschäftigen mich auch Formen des offenen Protests der lokalen Elite gegen die zentralistische Wiederaufbaupolitik aus Islamabad. Da Azad Kashmir formal als unabhängiger Staat (mit eigener Legislative, Exekutive und Jurisprudenz) gilt, faktisch aber durch Pakistan kontrolliert wird, ist die Frage nach den Auswirkungen dieses ambivalenten politischen Verhältnisses für lokale Wiederaufbauprozesse entscheidend. Umgekehrt stellt sich auch die Frage, welche Veränderungen die Beziehungen zwischen Pakistan und Azad Kashmir im Zuge des Wiederaufbaus erfahren und wie sich diese Veränderungen für unterschiedliche lokale AkteurInnen und ihre Handlungsspielräume auswirken.
Weitere Informationen zum Forschungsprojekt: „Politik des Wiederaufbaus nach dem Erdbeben in Pakistan und Azad Kaschmir“
Publikation:
2012: Representations and Practices of "Home" in the Context of the 2005 Earthquake and Reconstruction Process in Pakistan and Azad Kashmir. In: Luig, Ute (ed.): Negotiating Disasters: Politics, Representations, Meanings. Frankfurt, Peter Lang: 205-234.