Ethnologie
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Vortrag: "Lokale Strategien im Umgang mit 'dem Staat' nach dem Erdbeben 2005 in Azad Kashmir (Pakistan)"

Am Montag, den 18. Juni 2012 berichtet Pascale Schild im Oberseminar über die Auseinandersetzungen und Verhandlungen zwischen "Staat" und Bevölkerung nach einer Katastrophe im Kontext des Erdbebens und Wiederaufbaus in Muzaffarabad

18.06.2012

Vortrag im Oberseminar:

Pascale Schild, Doktorandin, Institut für Ethnologie, LMU München:

Lokale Strategien im Umgang mit „dem Staat“ nach dem Erdbeben 2005 in Pakistan und Azad Kashmir

Im Kontext von Katastrophenbewältigung und Wiederaufbau werden betroffene Gesellschaften in unzählige staatliche Maßnahmen, internationale Hilfsprogramme und Projekte von NGOs eingebunden. Diese Interventionen implizieren eine Erweiterung der staatlichen Bürokratie, die sich im Dienste der Verwaltung der Katastrophe und ihrer Folgen (für die Bevölkerung) legitimiert. Dieser „erweiterte Staat“ — größtenteils unter Mitwirkung von internationalen Organisationen geschaffen und durch internationale Gelder finanziert — bewirkt, dass lokale AkteurInnen im Alltag nach einer Katastrophe verstärkt mit Behörden, Beamten, Projekten, bürokratischen Praktiken und Verfahren, offiziellen Papieren etc. konfrontiert sind.

Ich untersuche die staatlichen Verwaltungsprozesse und ihre vielschichtigen Machtwirkungen im Alltag nach einer Katastrophe im Kontext des Erdbebens und Wiederaufbaus in Muzaffarabad, der Hauptstadt von Azad Kashmir (ein teilautonomes Gebiet Pakistans).

Die offizielle Katastrophenpolitik in Muzaffarabad ist entscheidend geprägt durch das ambivalente politische Verhältnis zwischen Pakistan und Azad Kashmir, das historisch auf den seit 1947 bestehenden Kashmirkonflikt zwischen Pakistan und Indien zurückgeht. Dieses Verhältnis manifestiert sich im Wiederaufbau in Form einer äußerst aufwändigen und verzettelten Bürokratie, welche die Regierung Azad Kashmirs formal zwar einbindet, ihr tatsächlich aber gegenüber Islamabad kaum Einfluss einräumt. Eine effiziente Implementierung der Wiederaufbaumaßnahmen wird machtpolitischen Überlegungen untergeordnet, die primär zum Ziel haben, Pakistan die Verfügung über wichtige Wiederaufbauressourcen zu sichern. Infolgedessen verzögert sich der Wiederaufbau der Stadt seit mehreren Jahren, was immer wieder zu politischen Protesten in der lokalen Bevölkerung führte.

Während der offene Protest ein Instrument des Widerstandes der lokalen Elite darstellt, bedienen sich AkteurInnen der unteren gesellschaftlichen Schichten alltäglicher und subtiler Strategien im Umgang mit „dem Staat“. Ich zeige am Beispiel eines Umsiedlungsprojekts in der Stadt, wie vielfältig lokale AkteurInnen in und über die konkreten Begegnungen mit Beamten, Behörden, offiziellen Informationen und bürokratischen Praktiken „den Staat“ wahrnehmen, repräsentieren, aneignen, verhandeln, sich „ihm“ entziehen und widersetzen. Im Gegensatz zum Protest der Oberschicht verfolgen diese flexiblen Strategien existenzielle Alltagsinteressen (wie Wohnen, Haushalten, familiäre Angelegenheiten etc.) und orientieren sich dabei taktisch an den ambivalenten und widersprüchlichen Machtwirkungen des „alltäglichen Staates“.

Wann? Montag, 18.06.2012, 18-20 Uhr

Wo? Oettingenstraße 67, Raum 123

 


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