Ethnologie
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Vortrag im Oberseminar von Dr. Claudia Lang

Am Montag, den 22.04. hält Frau Dr. Lang einen Vortrag über "Neurochemie, doshas, Geister und public mental health"

10.02.2013

Am Montag, den 22.04.2013, hält Frau Dr. Claudia Lang folgenden Vortrag:

Neurochemie, doshas, Geister und public mental health: Die Glokalisierung der Depression in Kerala

Weltweit wird Depression von der WHO als eines der größten gesundheitlichen und sozialen Probleme eingeordnet. Auch in dem südindischen Bundesstaat Kerala wird ein enormer Anstieg von Menschen mit Depression konstatiert (in manchen Zeitungsberichten ist von bis zu 50% der Gesamtbevölkerung die Rede) und der Bedarf an medizinischer Versorgung als entsprechend groß eingeordnet. Vor dem Hintergrund des Ausbaus des psychischen Gesundheitssektors im öffentlichen Gesundheitssystem einerseits und dem vielfältigen Angebot an alternativen und religiösen Heilmöglichkeiten gehe ich Prozessen der Aneignung des biopsychiatrischen Depressionskonzepts nach. Diese untersuche ich im Zusammenhang mit der Aushandlung von Tradition und Moderne, von Wissenschaft und Religion und mit der Positionierung von Praktizierenden und Hilfesuchenden innerhalb dieser Diskurse. Die zwei Hauptkontexte, in denen ich diesen Fragen nachgehe, sind (1) die revitalisierte ayurvedische Psychiatrie und (2) die Biopsychiatrie. In beiden Kontexten entwerfen Praktizierende ein physiologisches, somatisches Modell der Depression und distanzieren sich, um als wissenschaftliche Medizin anerkannt zu werden, von religiösen und „abergläubischen" Konzeptualisierungen und Praktiken - allerdings nicht ohne Brüche.

Ayurvedische Psychiater übersetzen Depression in ayurvedische Konzepte, indem sie den modernen Terminus in eine ayurvedische „Grammatik" integrieren (Kreolisierung), wobei sie strategisch ein physiologisches Modell betonen und die ‚spirituelle‘ Seite ayurvedischer Konzepte und Praktiken in säkularen und rein physiologischen Begriffen reinterpretieren. Neben dieser Ent-Spiritualisierung gibt es aber auch einzelne Versuche der Re-Spiritualisierung der formalisierten ayurvedischen Psychiatrie, wie ich am Beispiel eines katholischen ayurvedischen Psychiaters zeigen werde. Die Aneignung von Depression (und anderen psychiatrischen Terminologien) führt nicht nur dazu, dass ayurvedische Ärzte sich in einem vom biopsychiatrischen Diskurs dominierten öffentlichen Diskurs artikulieren und positionieren können, sondern auch dazu, dass mehr und mehr ayurvedische Patent-Medikamente gegen ‚depression‘ und ‚tension‘ auf den Markt kommen (Kommodifizierung von psychischer Gesundheit).

Im Kontext der Biopsychiatrie in Kerala mache ich besonders die umstrittenen Felder von Somatisierung und Psychologisierung von Depression und die Aushandlung dessen, was als

‚mental health literacy‘ verstanden wird, zum Gegenstand. Darüber hinaus werden auch hier externe Agenten wie Geister oder Schadenszauber als Ursache für Depression diskursiv ausgeschlossen, weswegen Patienten diese in den Konsultationen – im Gegensatz zu anderen Kontexten – auch nicht erwähnen. Dennoch verstehen viele Patienten und Angehörige Depression im Zusammenhang mit dem Eindringen von etwas Externem, das durch die Behandlung entfernt werden kann. Die medizinische Behandlung und die Psychotherapie wird dann zu einer quasi-magischen Behandlung. Viele Hilfesuchenden integrieren die medizinisch-physiologische Konzeption von Depression als ‚neurochemische Veränderung im Gehirn‘ in ein weiteres System von pop-psychologischen, religiösen und Folk-medizinischen Deutungen.

claudia.lang@ethnologie.lmu.de

Der Vortrag findet statt

Oettingenstr. 67, in Raum 123, um 18-20 Uhr c.t.

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