Vortrag im Oberseminar: "Prolegomena zu einer Anthropologie des Schattens"
Am Montag, den 04. Juli 2011 referiert PD Dr. Thomas Reinhardt über seine Forschungen zur Kulturgeschichte des Schattens
04.07.2011
Unter den Erscheinungen der sichtbaren Welt ist der Schatten zweifellos der Anarchist. Er gibt den metaphysischen Piraten und ontologischen Parasiten und tut, was natürliche Objekte eigentlich nicht tun. Dieses sonderbare (und bisweilen scheinbar nicht recht mit den Naturgesetzen in Einklang zu bringendes) Verhalten ist natürlich vielen Menschen zu vielen Zeiten und in vielen Teilen der Welt aufgefallen. Und so überrascht es auch nicht, dass es eine kaum überschaubare Menge von Theorien und kulturellen Praktiken gibt, die direkt mit dem Schatten verknüpft sind. Gleichgültig, ob der Schatten dabei als Emanation der Person oder als sichtbare Manifestation der Seele betrachtet wird, ob er den Menschen, von dem er ausgeht ersetzt oder verlängert, ob er der privaten oder der öffentlichen Sphäre zugerechnet wird, ob er schützt oder geschützt werden muss, verunreinigt wird oder selbst verunreinigt, ob er heilt oder schwängert – in der einen oder anderen Form hat sich praktisch jede Gesellschaft Gedanken über den Schatten gemacht und eine bisweilen überraschend komplexe – wenngleich kaum je wirklich kohärente – Theorie des Schattens entwickelt.
Angesichts der Vielfalt von Schattentheorien und -praxen drängt sich das Thema für eine kulturvergleichende Analyse eigentlich auf. Der letzte breit angelegte Versuch einer „Kulturgeschichte des Schattens“ datiert allerdings noch im ersten Drittel des vergangenen Jahrhunderts. Seither führt der Schatten in der ethnologischen Literatur ein arges Schattendasein und wird allenfalls als exotisches Randphänomen gelegentlich schwach „beleuchtet“.
Eine „Anthropologie des Schattens“ ist nach wie vor eine Forschungsaufgabe. Im Vortrag sollen einige der Untersuchungsfelder kurz umrissen werden, die sie streifen müsste.
Wann? Montag, 04. Juli 2011, 18 Uhr c.t.
Wo? Edmund-Rumpler-Str. 9, Raum 110
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