Ethnologie
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Lichtbilder und Farbtöpfe

Fotografien als wandelbare Objekte

Sibylle Ulbrich

Die Bilder der Teil-Ausstellung Lichtbilder und Farbtöpfe stammen aus dem fotografischen Nachlass von Dr. Kurt Boeck, den dessen Witwe kurz nach seinem Tode an das Museum Fünf Kontinente übergeben hat (Ubbelohde-Doering 1934: o.S.). Der 1855 in Antonienhütte/ Oberschlesien geborene und 1933 in München gestorbene Fotograf, Forschungsreisende und Schriftsteller galt Anfang des 20. Jahrhunderts als bedeutender Herausgeber illustrierter Reiseliteratur (Werner 2013: o.S.). Der Zugang zu den entlegenen Gegenden wurde Boeck nicht immer leicht gemacht, zumal er – ausgestattet mit Kamera und Schreibblock – sowohl in Sibirien, als auch in Asien der Spionage verdächtigt wurde (Boeck 1925: 123). Auf seinen Reisen war ihm besonders wichtig, typische Kulturbilder ausfindig zu machen, und diese selbst mit Liebe fotografisch festzuhalten, also keinesfalls auf Musterbücher der Kunsthandlungen zurück zu greifen (Boeck 1903: XI).
Trotz seiner regen Vortragstätigkeit und zahlreicher Publikationen ist der passionierte Hobbyethnologe heute wenig populär. Zwar schwärmt Boeck vom „Studium der Menschheit“ und reiste vier Mal nach Indien um „seine Völker mehr als etwas oberflächlich verstehen zu lernen“ (Boeck 1903: IX), doch wird er mangels Ausbildung nicht als Ethnograf anerkannt. Einige seiner Stereofotografien fanden ihren Platz in der Sammlung der Neuen Photographischen Gesellschaft in Berlin, doch viele Fotos wurden ohne Urheberhinweis vermarktet (Werner 2013: o.S.). Der untersuchte Bildbestand umfasst eine Schachtel im Schuhkarton-Format und einige Einzelbilder von seinen Reisen nach Sibirien, sowie zwei Schachteln mit der Aufschrift „Durch Indien ins verschlossene Land Nepal“, die auch einige Fotografien aus dem gleichnamigen Buch enthalten (Boeck 1903).
Bei der ersten Sichtung fiel mir sofort die Materialität der Bilder ins Auge, da ein Großteil auf Pappe aufgezogen, beschriftet und retuschiert vorliegt. Auch ergriff mich, die mir fremde Kultur des Archivwesens, mit all seinen sinnlichen Eindrücken, wie eigentümlichen Gerüchen, Anblicken, Ausdrücken und einem speziellen Verhaltenskodex (vgl. Hempel 2017: 84). Betrachten wir Fotografien als wandelbare Objekte, so sollte der (Re)Präsentation der Bilder besondere Aufmerksamkeit zu kommen. Im privaten Umfeld, kann das beispielsweise die Aufbewahrung in einem Fotoalbum sein. Die Bilder werden dort vielfach geordnet, beschriftet und ausgeschmückt, bei Zeiten ergänzt und besehen – und somit immer (re)präsentiert. Anders gestaltet sich dieser Vorgang in der Museumsarbeit. Hier handelt es sich gewissermaßen um einen Zugang zweiter Ordnung, denn die Bilder werden nun indirekt zunächst durch die Kuratoren und dann durch die Besucher neu entdeckt und bewertet. Die Exponate, primär der Blickfang des aus zustellenden Fotografen, sollen nun so re-präsentiert werden, dass sie einerseits den Autor mit seiner Intension berücksichtigen und andererseits den Besucher in ihren Bann ziehen. Hier interessiert nun bei der Analyse einzelner Bilder, wie sich der sinnlich-ästhetische Zugang von Fotograf und Betrachter, von Sehen und (Re)Präsentieren im Wahrnehmungsprozess auswirken. Mögliche Fragen sind: Welche sinnlichen-ästhetischen Voraussetzungen beeinflussten die Aufnahmen? Welche Maßstäbe werden bei der (Re)Präsentation der Bilder angelegt? Und wie wandelt sich das bildhafte Objekt dadurch in seiner sinnlich-ästhetische Wahrnehmung?

P5_Boeck 14 Falke

„Jagdfalkenträger des Fürsten“, Foto: Kurt Boeck, 1895, Radschputana, Indien, Schwarz-Weiß-Abzug auf Karton mit Übermalungen, 10 x 18,5 cm, MFK, o. Nr

 

Bei der ethnologischen Bildanalyse sind im ersten Zugang – falls ermittelbar Autor, Region und Thema/Titel der Arbeit relevant. Um die Fotografien entsprechend zuzuordnen, mussten im Fall von Boecks Nachlass zunächst die handschriftlichen Notizen entziffert werden. Ein interessanter „Blickfang“, denn Handschriftliches ist, zumal in Altdeutscher Schrift, heutzutage doch eher selten an zu treffen. Der Schriftzug im folgenden Bild „Jagdfalkenträger des Fürsten“ heißt beispielsweise Radschputana (hier Ratschpu-tana), ein Gebiet im Nordwesten Indiens, dem heutigen Rajasthan. Auch der Kontext der Bildentstehung ist von großer Bedeutung. Zum einen „als Dokument kultureller Äußerung und deren Protagonisten“ zum anderen als Hinweis auf die „Sichtweisen auf als fremde begriffene Kulturen und Menschen (Krämer de Huerta 2017: 34). Einen – wenn auch oberflächlichen Einblick auf den Entstehungskontext und den Menschen Kurt Boeck erlaubt die Analyse seiner Texte. Boeck scheint demnach dem damaligen evolutionistischen Weltbild verhaftet, wenn er sich als Teil einer „Überkultur“ sieht (Boeck 1903: IX), doch findet er bereits kritische Worte gegenüber den englischen Kolonialherren mit ihren „rosaroten Brillen“ (ebda: X). Schließlich betont er, dass Rassen- und Klassenhass einem Mann von Welt nicht zustehen und sein Werk „ohne jede Parteilichkeit oder Gehässigkeit mit unbekümmerter Offenheit“ geschrieben wurde (ebda.). Sowohl die normative Einordung, als auch der sinnlich-ästhetischer Zugang zu Bildern unterliegt als kulturelles Phänomen einem Wandel. „So werden gesellschaftliche Normen auch über Bilder vermittelt. In ihnen manifestiert sich z.B. was in einer Gesellschaft als normal und abweichend, als schön oder häßlich angesehen wird“ (Jäger 2000: 13).
Auch der Kontext der Bildentstehung ist von großer Bedeutung. Zum einen ist eine Fotografie, wie jedes menschliche Artefakt „als Dokument kultureller Äußerung und deren Protagonisten“ zu sehen, zum anderen ist sie ein Hinweis auf die „Sichtweisen auf als fremde begriffene Kulturen und Menschen“ (Krämer de Huerta 2017: 34). Einen, wenn auch oberflächlichen, Einblick in den Entstehungskontext und den Menschen Kurt Boeck erlaubt die Analyse seiner Texte. Boeck scheint demnach dem damaligen evolutionistischen Weltbild verhaftet, wenn er sich als Teil einer „Überkultur“ sieht (Boeck 1903: IX). Doch findet er bereits kritische Worte gegenüber den englischen Kolonialherren mit ihren „rosaroten Brillen“ und betont schließlich, dass Rassen- und Klassenhass einem Mann von Welt nicht zustehen, und sein Werk „ohne jede Parteilichkeit oder Gehässigkeit mit unbekümmerter Offenheit“ geschrieben wurde (ebda). Dabei ist nicht zu vergessen, dass sowohl die normative Einordung, als auch der sinnlich-ästhetischer Zugang zu Bildern als kulturelles Phänomen einem steten Wandel unterliegen. „So werden gesellschaftliche Normen auch über Bilder vermittelt. In ihnen manifestiert sich z.B. was in einer Gesellschaft als normal und abweichend, als schön oder häßlich angesehen wird“ (Jäger 2000: 13).
Seine überwältigenden Sinneseindrücke vor Ort konnte Kurt Boeck mittels der damaligen Fototechnik kaum einfangen. Nicht weniger herausfordernd war es zu seiner Zeit, ästhetische Vorstelllungen trotz der beschränkten Möglichkeiten damaliger Reproduktions- und Drucktechniken umzusetzen. Eine Vielzahl seiner Bilder zeigen Spuren einer nachträglichen Zurichtung und Retusche. Vorder- und Hintergründe wurden häufig durch Übermalungen oder Beschnitte abgehoben. So erschienen beispielsweise Schwarz-Weiß-Kontraste durch gezieltes Übermalen plastischer im Druck. Diese Bilder führen uns die Materialität und Wandelbarkeit von Fotografien vor Augen, die wir allzu oft als direkte Abbilder der Wirklichkeit betrachten. Die bearbeiteten Bilder von Boeck sprechen deutlich wahrnehmbar von der Suche nach Möglichkeiten, die sinnlichen Empfindungen des Forschungsreisenden wahrhaftiger zu repräsentieren als die Fotografie es vermochte. So schreibt er 1908: „Allerdings müßte ich Farbentöpfe mit hierzulande nicht gangbarem Malstoff zur Hand haben, wollte ich versuchen, das Lokalkolorit jenes […] Reiches in getreuem Abglanz zu spiegeln“ (Boeck: 457). Bei dem Bild „Jagdfalkenträger des Fürsten“ hat Boeck tief in die Farbtöpfe gegriffen. Um es für die Aquarellfarbe aufnahmefähig zu machen, wurde die Oberfläche zunächst mit einem Schwamm abgewaschen und angeraut. Anfang des 19.Jh. wurden die Lasurfarben meist auf Basis bunter Erden, sowie den Bindemitteln Eiweiß und Gummi arabicum angemischt. Die Pigmente mit den klangvollen Namen Pariser Grün, Preußisch Blau, oder Englisch Rot waren teuer und mussten mit Bedacht gewählt werden (Grasshoff & Loescher 1913: 83f). Die Auftragung der Malmittel erforderte Geschick, denn die Reihenfolge des Auftrags war von großer Bedeutung. Bevor die Details ausgearbeitet werden konnten, musste der Hintergrund angelegt werden. Dabei sollten die unterliegenden Töne der Fotografie einbezogen werden. „Sie bilden die feinen grauen Übergänge, geben die Kraft der Schatten und garantieren die Ähnlichkeit; […]“ (ebd.). Durch diese Art der Retusche wirkt das Bild des Falkenträgers kaum mehr wie eine Fotografie, sondern fast wie ein farbenfrohes Bühnenbild. Hier mag der frühere Beruf des Verfassers als königlicher Hofschauspieler durchscheinen (vgl. Werner 2013: o.S.).
Der sinnlich-ästhetische Zugang zu ethnographischem Bildmaterial erscheint fruchtbar und lange nicht ausgeschöpft. In der (Re)Präsentation von Bildern ist besonders das Wechselspiel zwischen dem „Sich-richten-auf“ und dem „Getroffen-sein-durch“ in seinen unterschied-lichsten Facetten spannend (vgl. Waldenfels 2013: 55). Die Frage ist dabei, in wie weit die sinnlich-emotionale Wirkung von Bildern rekonstruiert und erlebbar gemacht werden kann (vgl. Hempel 2017 86). Ein weiterer Aspekt, den es zu beachten gilt, ist das Zusammenspiel der Sinne. Der (fragende) Blick ist nur einer von vielen museumspädagogisch relevanten Gesichtspunkten, wobei eine sensorische Ethnologie über das europäische Fünf-Sinne-Modell hinausgehen und gelebte Erfahrung einbeziehen sollte (Schmitt 2012: 234). „Eine Welt der Sinne, die mehr bedeutet, als ein Mosaik von Sinneseindrücken, erfordert, daß Empfindungen und Wahrnehmungen ebenso situativ, kontextuell und institutionell behan-delt werden wie symbolische Äußerungen und Handlungen und daß man letzen Endes auch ihnen jene dichte Beschreibung angedeihen läßt, die Clifford Geertz für die Ethnographie in Anspruch nimmt“ (Waldenfels 2013: 53).


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