Ethnologie
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Forschungsprojekt: Migration und Place-Making in der postkolonialen Siedlergesellschaft auf den Andamanen, Indien

Forschungsprojekt: Migration und Place- Making in der postkolonialen Siedlergesellschaft auf den Andamanen, Indien

Ziel des Projekts ist die Erforschung von Migration, postkolonialer Staatlichkeit und Lokalpolitik auf der indischen Inselgruppe der Andamanen. Ein besonderer Schwerpunkt wird dabei auf die Identitätspolitiken der aus verschiedenen Regionen, Religionen und Kasten des indischen Subkontinents stammenden Siedler und Einwanderer gelegt.

Forschungsprojekt: Migration und Place-Making

 

Geschichte des Migrationsregimes

Die Besiedlung der Andamanen steht in wirkmächtigem Zusammenhang mit der jüngeren Geschichte Südasiens. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts richtete das britische Empire auf den Inseln im Golf von Bengalen die größte Strafgefangenenkolonie Südasiens ein. Die Deportation von politischen Häftlingen und subalternen, kriminalisierten Gruppen diente einerseits der Entfernung von „Problempopulationen“ vom indischen Festland. Andererseits gewährleistete die dauerhafte Ansiedlung rehabilitierter Häftlinge und ihrer Nachkommen die Kolonisierung des aufgrund seiner Nähe zu Burma, Malaysia und Thailand geostrategisch bedeutsamen Archipels. Auf diese Weise entstand in den folgenden Jahrzehnten ein “Mini-India“, eine multiethnische und -religiöse Siedlerkolonie, die sich durch ihre Beziehungen zur Verwaltung, aber auch zur indigenen Bevölkerung, Radcliffe-Brown’s berühmte “The Andaman Islanders” (1922), definierte. Nach der Unabhängigkeit siedelte der säkulare indische Nationalstaat Landlose, Flüchtlinge aus Ost-Bengalen und Repatriierte aus Sri Lanka und Burma an. Zusätzlich kamen kontinuierlich Zuwanderer aus Süd-, Mittelindien und Bangladesh, was u.a. auf den Bedarf nach migrantischer Arbeit in staatlichen Entwicklungs- und Modernisierungsprojekten sowie auf einen hohen Lebensstandard zurückgeführt werden kann.

 

Place-making und Wohlfahrtstaatlichkeit

Die Kettenmigration aus bestimmten Regionen des indischen Festlandes verursachte einen erheblichen Bevölkerungsanstieg (1951: 30.971; 2010: ca. 600.000), der Konflikte über die begrenzte ökologische Tragfähigkeit der Inseln nach sich zog. Zudem prägt der in Südasien weit verbreitete politische Wettbewerb um die Umverteilung wohlfahrtsstaatlicher Ressourcen die Beziehungen zwischen verschiedenen Gruppen von Siedlern und Migranten. Eine entsprechende Differenzbildung erfolgt in Prozessen des Place-Making, z.B. durch spezifische Namensgebungen, Rituale und Institutionen, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten (re-)konstruierten ’community’ ausdrücken. Solche strategischen Aneignungen von ethnischen, religiösen und sozioökonomischen Labels durch ’community leaders’ und ihre Klienten können im Parteienwesen, in der Lokalpresse und in lokalen Nichtregierungsorganisationen beobachtet werden. Besonderen Einfluss auf den aktuellen lokalpolitischen Diskurs haben communities, die antikolonialen Widerstand, Unterdrückung und Unterentwicklung, aber auch einen spezifischen Andamanen- Patriotismus anführen, um die mit Status, Macht und ökonomischen Vorteilen verbundene staatliche Anerkennung als historisch oder sozial benachteiligte Gruppe zu erhalten.