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13.12.2024
Philippe Descola (2023): Die Formen des Sichtbaren. Eine Anthropologie der Bilder. Berlin: Suhrkamp.
Ein Buch wie geschaffen für den Gabentisch: spannend geschrieben, reich bebildert und so teuer, dass man es sich am Besten schenken lässt. Dieses Buch sei allen (und natürlich allen anderen auch!) empfohlen, die zwar die überwältigende intellektuelle Leistung von Descolas Hauptwerk „Jenseits von Natur und Kultur“ erkannt haben, aber dann doch ein wenig von der leichten Tendenz zum Schubladendenken darin enttäuscht waren. In seinem neuen Buch jedoch gehen einem im wahrsten Sinne des Wortes die Augen auf, wenn Descola sein Schema der vier Ontologien (Animismus, Totemismus, Analogismus und Naturalismus) anhand ihrer „Figurationen“, ihrer – im weitesten Sinne – bildlichen Repräsentanz, veranschaulicht. Wir lassen uns faszinieren von den animistischen Masken-Mobiles in den Festhütten der Yup’ik, den Routen der Totemwesen, die auf den Tüpfelbildern australischer Aborigenes ihre Spuren hinterlassen, finden kosmische Analogien auf den Körpern indischer yogin verzeichnet und blicken durch „flämische Fenster“ auf altniederländische NaturKultur-Landschaften. Descola leistet hier weniger eine linereare, kunsthistorische Abhandlung, als dass er vielmehr zeigt, wie jede Epoche, jedes „Archipel“ der vier Ontologien seinen bildlichen Ausdruck findet, gleichzeitig aber immer den Keim zum Ausbruch aus der Konvention derart in sich trägt, dass sich im neuen Blick der Kreis zum Alten schließt (etwa Joseph Beuys‘ „animistischer“ Aktion „I like America and America Likes Me“ zusammen mit einem Kojoten). Kurzum, ein Buch von überwältigender Gelehrsamkeit, welches nicht zerpflückt und abisoliert, sondern das universelle Streben der Menschen darstellt, die Unordnung der Welt im Nachleben der Bilder (Warburg) zu fassen zu kriegen.
Wolfgang Kapfhammer