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24.12.2023

Zora N. Hurston (2018): Barracoon. The Story of the Last "Black Cargo". Edited by Deborah G. Plant. New York: HarperCollins Publishers.

Adventskalender 2023 Empfehlung 24

Kurzbeschreibung:
Cudjo Lewis (Oluwale Kossola, ca.1841–1935) war gegen Ende seines Lebens schon eine regionale Berühmtheit in den Südstaaten, galt er doch als letzter in Afrika geborener Überlebender der US-amerikanischen Sklaverei sowie des letzten Sklavenschiffs überhaupt, das Menschen in die USA verfrachtet hatte.

Zora Hurston gelang es 1927/28, mit Kossola eine innige Arbeitsbeziehung aufzubauen. Und so teilte er mit ihr sehnsuchtsvolle Jugenderinnerungen an "de Afficky soil" (genauer: Bantè im heutigen Benin), schauerliche Schilderungen der Massaker und der Versklavung durch Dahomey-Kriegerinnen, Berichte über seine Verschiffung und Verschleppung, und den chaotischen Moment der Befreiung 1865. Dass Cudjo Lewis zu den Mitbegründern des Dorfes Africantown (heute Plateau, Alabama) gehörte, das ein Zufluchtsort für in Afrika Geborene wurde, erwähnt er kaum. Trauer dagegen ist ein zentrales Motiv seiner Ezählungen, nicht zuletzt um die sechs Kinder, die er mit seiner ebenfalls in Benin geborenen Frau Celia (eigentlich Abile) bekam, und von denen keines die Eltern überlebte. Der bewegende und mit kreolischen Sprichwörtern gespickte Lebensbericht wird ergänzt durch einige von Kossolas Legenden und Fabeln, die Hurstons ursprüngliches Projekt der Sammlung afroamerikanischer oraler Literatur reflektieren.

Begründung der Wahl:
Zora Neale Hurston (1891–1960) gibt eines der schillerndsten Bilder in der Ahninnengalerie unseres Faches ab. Mit dem Lebenstraum, Schriftstellerin zu werden, war sie an die schwarze Howard University gegangen, hatte sich unter die literarische Bohème der Harlem Renaissance gemischt und es schließlich an das Barnard College der Columbia University geschafft. An der Elite-Uni fiel die geistreiche, energetische und umfangreich belesene Schwarze Zora auf, unter anderem Franz Boas. Jener versuchte, ihren Tatendrang in Richtung einer Ethnographie ihrer eigenen Leute, der Schwarzen des "Tiefen Südens", zu lenken, um deren Schatz an tradierter Erzählkultur zu heben. Zoras Enthusiasmus war schnell gezündet, ermüdete aber immer wieder, denn die fabulierfreudige und wortgewaltige Schriftstellerin in ihr rieb sich an der Erfordernis, die Worte anderer möglichst genau zu dokumentieren. "Barracoon" lag 1931 als Typoskript vor und hätte ihre erste Buchveröffentlichung werden sollen (zwei eher ethnographische Bücher, vier Romane und eine
Autobiographie sollten folgen). Da sie Kassolas Worte strikt in schwarzem Kreol-Englisch wiedergab, hielten die angeschriebenen Verlage den Text für ein breites Publikum nicht zumutbar. Erst 2018 schien die Zeit dafür reif, diese faszinierende Quelle afroamerikanischer Kultur und Geschichte zu publizieren, und HarperCollins landete damit einen Bestseller. Der Text ist eine packende Lektüre, wenn man sich ins kreoliserte Englisch eingelesen hat, aber gleichzeitig auch Material für eine differenzerte Beurteilung fachgeschichtlicher Episoden. Hurston hält uns z.B. vollständig im Dunkeln darüber, wie sie den Text aufgezeichnet hat.

Nicht nur das wird Franz Boas aufgefallen sein, sondern auch, dass Cudjos Englisch (der auch in den USA noch regelmäßig mit anderen Yorùbá sprach) genauso aussieht wie das von Hurston aufgeschriebene Englisch in Erzählungen ihrer eigenen Landsleute in Florida.

Henry Kammler


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