Ethnologie
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03.12.2023

B. Traven (2024). Die Brücke im Dschungel. Zürich: Diogenes Verlag, [1929] 2024.

Leseprobe: https://www.diogenes.ch/dam/jcr:c627d2aa-ab82-473f-8ecb-05fc5637837b/978-3-257-24717-6.pdf


„Der gute Geschmack dieser Leute und der feine Takt, der ihrem Umgang mit den Mitmenschen das Gepräge gab, war mir in den vergangenen zwölf Stunden mehr und mehr so recht zu Bewußtsein gekommen. Ich hatte sie beobachtet und all ihr Tun, alle ihre Worte auf mich einwirken lassen. Als ich hergekommen war, hatte ich in diesen Menschen nur die einfachen indianischen Bauern gesehen mit der ihnen eigenen Höflichkeit, wie man sie im ganzen spanischen Amerika allerorten antrifft, wo niemals amerikanische Touristen hinkommen, die Landschaft verschandeln, den Einheimischen begreiflich zu machen suchen, wie großartig die Segnungen der Zivilisation sind, und ihnen jeden Tag zehnmal sagen, wie dreckig und speckig sie sind und wie schlecht ihr Land verwaltet wird. Es bedurfte anscheinend eines Anlasses wie desjenigen, dessen Zeuge ich geworden, um die Leute so kennenzulernen, wie sie wirklich sind. Man sieht dann nicht nur den Schmutz und ihre Lumpen, sondern ihr Herz und ihre Seele, und das ist viel mehr. Es ist das einzige, worauf es beim Menschen wirklich ankommt. Radioapparate, Fordwagen und Geschwindigkeitsrekorde zählen überhaupt nicht. Das ist alles Humbug, wenn die letzte Bilanz gezogen wird.“

Empathie wird in der Ethnologie gerne gepredigt und doch wirkt sie im Wettbewerb um Drittmittel und Stellen mitunter schal. Ob man Empathie lernen kann? Ich weiß es nicht. Aber erkennen, würde ich behaupten, lässt sie sich doch. In der Erzählung „Die Brücke im Dschungel“ von 1929 schlüpft man in die Figur des weißen US-Amerikaners Gales, der im mesoamerikanischen Dschungel unterwegs ist und zufällig Zeuge eines tragischen Unfalls wird. Gales beobachtet, beschreibt und räsoniert in eindringlicher und tiefsinniger Manier - und erlaubt auch, sich durch ihn dem Autor B. Traven selbst zu nähern, der von sich nicht allzu viel preisgab. Wer sich mit Michael Jacksons existentialistischer Dialektik aus Emotion und Sozialität beschäftigt hat, wird hier anknüpfen können; alle anderen dürfen die Erzählung auch nach Feierabend lesen. Romantischen Ethnokitsch wird man allerdings keinen finden, mitunter hingegen etwas altertümliche Sprache, der man am besten mit historisch-kritischer Analyse begegnet. Die literarische Beschreibung der dschungelgleichen Verwachsungen nunmehr historischer Lebenswelten hingegen öffnet den ethnologischen Blick auch für unsere Welt heute.

Magnus Treiber

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