Ethnologie
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04.12.2025

Michael J. Hathaway. (2022): What a Mushroom Lives For: Matsutake and the Worlds They Make. Princeton: Princeton University Press.

Ein Pilz? Echt? Echt! Michael Hathaways Studie ist ein bemerkenswerter Beitrag zum Feld der „multispecies-ethnography“ und lädt ein, Ethnologie neu zu denken. Aufbauend auf, aber zugleich in produktiver Distanz zu Anna Tsings Der Pilz am Ende der Welt, verdichtet Hathaway die Geschichte des Matsutake-Pilzes zu einer Assemblage vielfältiger Beziehungen zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen, Pilzen und Landschaften.
Der Matsutake, ein seltener und hochgeschätzter Speisepilz, wächst in den Wäldern Ostasiens, Skandinaviens und Nordamerikas. Hathaway folgt ihm in die Gebirgswälder Yunnans (China) und zeigt, wie der Pilz Privatleben, Arbeit, Ökologie und Geschichte miteinander verbindet. Im Zentrum steht dabei nicht die menschliche Nutzung des Pilzes, sondern der Versuch, den Matsutake selbst als aktiven Akteur zu begreifen. Hathaway fragt, «what a mushroom lives for» – was also das Leben dieses Organismus ausmacht, welche Beziehungen er eingeht und welche Welten mit ihm und durch ihn entstehen. Die entlang dieser Linie entfaltete Ethnographie behandelt nicht-menschliche Lebewesen nicht einfach als Ressource oder Symbol, sondern beschreibt sie als aktive Mitgestalter gemeinsamer Geschichte(n).

Das Buch verbindet wissenschaftliche Präzision mit einer sensiblen, fast poetischen Beobachtungsgabe und stellt einen großartigen Beitrag zur sogenannten multispecies ethnography dar – einer Forschungsrichtung, die danach fragt, wie Menschen und andere Lebewesen gemeinsam Welt erzeugen. Spannend von der ersten bis zur letzten Seite, lotet Hathaway das Potential einer Ethnographie aus, die die exklusiv menschliche Perspektive aufgibt und sich öffnet auf eine Anthropologie des Gemeinsamen.

Für Studierende bietet das Buch mehrere Einstiege zugleich: Es ist ein anschauliches Beispiel für ethnographisches Arbeiten in ökologischen Kontexten, es vermittelt theoretische Grundlagen posthumanistischer Ansätze, es regt dazu an, in grundsätzlicher Weise über das Verhältnis von Leben, Umwelt und Forschung nachzudenken, und es zeigt, wie eine Ethnographie aussehen kann, die die Lebensformen anderer Wesen ernst nimmt – als epistemische Partner und Träger von Weltbeziehungen.

Wer sich für Umweltanthropologie, politische Ökologie oder multispecies studies interessiert, wird in diesem Buch eine leise, aber eindringliche Einführung in eine neue Art des ethnologischen Denkens finden – und vielleicht auch lernen, die Welt ein wenig pilzhafter zu sehen.

Thomas Reinhardt

2025-12-04-Bild-Beitrag-Reinhardt

E-book unter: https://www-degruyterbrill-com.emedien.ub.uni-muenchen.de/document/doi/10.1515/9780691225890/html


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