Ethnologie
print

Links und Funktionen
Sprachumschaltung

Navigationspfad


Inhaltsbereich

Tamazulapam del Espíritu Santo

Verena Backes, Inga Braukmann, Anne-Kristen Sus

In den Bergketten der Sierra Norte gelegen zählt Tamazulapam del Espíritu Santo mit seinen insgesamt sieben rancherías etwa 6.900 Einwohner und Einwohnerinnen. Die Gemeinde erstreckt sich auf eine Höhe von 1.600 bis 2.400 Metern und zählt damit zur parte alta der Region Mixe (Plan Municipal de Desarrollo 2008-2010: 39; 14). Das Gebiet ist sehr bergig und damit eher unzugänglich. Dennoch ist das Dorf über eine vollständig geteerte Straße von Oaxaca de Juárez, der Hauptstadt des Bundesstaates, zu erreichen. Neben Töpferei und Weberei stellt die Landwirtschaft den wichtigsten Einkommenszweig dar. Durch die unterschiedlichen Höhenlagen sind günstige klimatische Voraussetzungen für vielseitigen Obst- und Gemüseanbau gegeben. Der Anbau an Steilhängen, die Verwendung von Düngemitteln sowie die unverhältnismäßige Abholzung des Waldes haben in den letzten Jahren jedoch zur Verschlechterung der Bodenqualität, Begünstigung von Erosion sowie Bedrohung der Fauna geführt (Plan Municipal de Desarrollo 2008-2010: 18ff.).

Laut Entwicklungsplan der Gemeinde für die Jahre 2008-2010 sprechen noch ca. 98 Prozent der Einwohner und Einwohnerinnen Tamazulapams die indigene Sprache Ayuuk (Plan Municipal de Desarrollo: 46). Aus verschiedenen Gesprächen mit Gemeindemitgliedern erfuhren wir jedoch, dass immer weniger Kinder die indigene Sprache erlernen würden, da nicht in allen Schulen der Gemeinde bilingualer Unterricht angeboten würde. Dieser Entwicklung will die Supervisión Escolar Indígena mit neuen Schulprogrammen entgegen treten.

tama2_web

Frau in Tracht in Tamazulapam.  Foto: Inga Braukmann

Es wird geschätzt, dass derzeit 15% der Einwohner und Einwohnerinnen des Ortes migriert sind (Plan Municipal de Desarrollo 2008-2010: 40). Dies bewirkt einen Rückgang des landwirtschaftlichen Sektors sowie der Produktion von Kunsthandwerk, verringert die Anzahl potentieller Anwärter für einen Posten im Cargosystem und zeitigt Auswirkungen auf Identitätskonstruktionen und Traditionen der Dorfgemeinschaft. So fällt beispielsweise auf, dass in den Straßen Tamazulapams nur noch ältere Frauen in der Mixe-Tracht zu beobachten sind; Männer und Jugendliche tragen diese fast nur noch zu festlichen Anlässen.

Die sozialen, politischen und ökologischen Probleme des Dorfes werden alle zwei Jahre im Entwicklungsplan der Gemeinde festgehalten, der von der Verwaltung in Zusammenarbeit mit auswärtigen Experten erstellt wird. Die Umsetzung der dort vorgeschlagenen Maßnahmen erfolgt nach unserem Eindruck jedoch eher zögerlich. Vielmehr dient der Plan als Orientierungshilfe für die jährlich wechselnden Gemeindevertreter, die sich anhand des Dokuments ein Bild von der geleisteten bzw. zu leistenden Arbeit machen können. Zudem werden laut Aussage der Dorfautoritäten durch den Plan staatliche Subventionen mobilisiert, die etwa für den Ausbau der Infrastruktur notwendig sind. Im Laufe unserer Feldforschung stellte sich jedoch heraus, dass diese Dynamik nicht von allen Bewohnern und Bewohnerinnen positiv bewertet wird. Nach Ansicht einiger Gemeindemitglieder bedroht die zunehmende Einflussnahme des Staates die Unabhängigkeit und Selbstverwaltung der Gemeinde. Als Reaktion darauf bildete sich eine Initiative, die sich kulturellen Widerstand, und damit einhergehend die Revitalisierung der Mixe-Identität, zum Ziel gesetzt hat: das Colectivo Cultura y Resistencia Ayuuk (CCREA).

Dreh- und Angelpunkt unserer dreiwöchigen empirischen Arbeit stellte vor allem der im Zentrum Tamazulapams gelegene palacio municipal dar, in dem sich die Büros der verschiedenen Gemeindevertreter und Gemeindevertreterinnen befinden. Dort knüpften wir Kontakte zum presidente municipal und den regidores de desarrollo sustentable, ecología, agua sowie cultura y deporte. Zusätzlich standen wir in Kontakt mit der bereits erwähnten, unabhängig arbeitenden Supervisión Escolar Indígena, die uns über die aktuelle Situation der indigenen Sprache Ayuuk aufklärte.

Als Forschungsmethode übten wir vor allem die teilnehmende Beobachtung ein, durch welche wir Alltagsphänomenen, Tagesabläufen und Diskursen näher kommen wollten, die im Kontext des Forschungsfeldes von Bedeutung waren. Während unserer ersten Woche in Tamazulapam beschränkten wir uns zunächst auf diese Methode, um mit unserer Umgebung, den zukünftigen Forschungspartnern und ihrem Tagesrhythmus vertraut zu werden. Schon in dieser Zeit fanden viele informative Gespräche statt, die uns in die Richtung unserer endgültigen Forschungsfrage lenken sollten. Die meisten regidores (Gemeindevertreter und Gemeindevertreterinnen) begegneten uns mit etwas mehr Zurückhaltung als andere Einwohner und Einwohnerinnen Tamazulapams, wohl auch aufgrund ihrer offiziellen Position und Funktion als Repräsentanten und Repräsentantinnen im Ort. Die Mitglieder des CCREA dagegen waren sehr offene Gesprächspartner und Gesprächspartnerinnen und es bot sich häufig die Möglichkeit zu ausführlichen Diskussionen, die auch im Hinblick auf unsere Fragestellung wichtig waren. Durch den eher freundschaftlichen Umgang mit diesen Akteuren und Akteurinnen ließen wir uns jedoch vielleicht zunächst auch ein wenig von ihren Ansichten vereinnahmen.

Nachdem wir bereits einige wichtige Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen kennengelernt hatten, ergänzten wir die teilnehmende Beobachtung in der zweiten Woche durch Leitfadeninterviews. Basierend auf unseren ersten Informationen modifizierten und spezifizierten wir hier bereits unsere Fragen. So hatten wir vor Beginn der Forschung unser Augenmerk vor allem auf ökologische Projekte und Umweltwahrnehmung gelegt, da diese im Plan de Desarrollo eine zentrale Rolle einnahmen. Vor Ort wurde unsere Forschung durch die Gesprächspartner und Gesprächspartnerinnen jedoch immer mehr in Richtung des Entwicklungsdiskurses und dessen Wahrnehmung im lokalen Kontext gelenkt.

Unsere Partizipanten und Partizipantinnen waren zwar alle mit der Aufzeichnung unserer Gespräche einverstanden (mittels Aufnahmegerät und teilweise auch mit der Videokamera), allerdings konnten wir beobachten, dass dies die Gesprächssituation beeinflusste. Während sie in anderen Unterhaltungen ungezwungen über ihren Alltag sprachen und das Gespräch selbst lenkten, blieben sie in den Interviews recht zurückhaltend und orientierten sich meist sehr genau an den von uns gestellten Fragen. Wir erklärten uns dies damit, dass sich in der vergleichsweise kurzen Zeit unseres Aufenthalts kein tiefes Vertrauensverhältnis einstellen konnte und sich unsere Gesprächspartner und Gesprächspartnerinnen vermutlich unsicher waren, was uns anvertraut werden konnte und was nicht.

Da unter anderem die Definition bestimmter Konzepte durch Gemeindemitglieder Tamazulapams im Fokus unserer Forschung stand, bot sich als weitere Methode unserer empirischen Arbeit die sentence completion an. Hierdurch konnten wir gezielt nach dem Verständnis bestimmter Begriffe fragen und die Aussagen verschiedener Personen vergleichen. So fragten wir etwa nach dem persönlichen Verständnis von Armut (pobreza), comunalidad und nach Vorstellungen einer adäquaten „Entwicklung“ (desarrollo) der Gemeinde sowie nach Wünschen für deren Zukunft. Die Bögen mit den zu vervollständigenden Sätzen verteilten wir unter anderem an verschiedene regidores, eine Ladenbesitzerin und zwei Mitglieder des CCREA, um die Perspektive unterschiedlicher sozialer Akteure und Akteurinnen einzuholen.

Durch die intensiven Auseinandersetzung mit den Idealen des CCREA sowie durch die zahlreichen Gespräche vor Ort lenkten wir unser Forschungsinteresse schließlich auf zwei konkrete Fragestellungen: Wie werden Termini des globalen Entwicklungsdiskurses im lokalen Kontext aufgenommen und transformiert? Welche Alternativen zu den kritisch betrachteten Entwicklungsmaßnahmen bilden sich auf Dorfebene heraus?

Literatur:

Plan Municipal de Desarrollo de Tamazulápam del Espíritu Santo 2008-2010. (http://www.finanzasoaxaca.gob.mx/pdf/inversion_publica/pmds/08_10/031.pdf; letzter Zugriff am 24.05.2012)


Servicebereich