Ethnologie
print

Links und Funktionen
Sprachumschaltung

Navigationspfad


Inhaltsbereich

San Juan Evangelista Analco

Merlin Austen und Saskia Brill

Die zapotekische Gemeinde San Juan Evangelista Analco liegt in der Sierra Norte nordöstlich von Oaxaca-Stadt im Distrikt Ixtlán de Juárez auf 2.100 Metern Höhe. In Analco leben etwa 400 Personen, wobei das Dorf seit Jahrzehnten einen konstanten Einwohnerrückgang zu verzeichnen hat. Trotz der geringen Einwohnerzahl ist Analco infrastrukturell gut aufgestellt. Die Gemeinde verfügt über ein medizinisches Zentrum, einen Kindergarten, eine Grund- sowie eine weiterführende Gesamtschule. Außerdem finden sich in Analco mehrere kleine Geschäfte, die neben Lebensmittel auch Kosmetika, Spielzeug, Filme und andere Waren anbieten. Ein Mobilfunknetz existiert nicht. Stattdessen nutzen Amtsträger zur Kommunikation Walkie-Talkies. Durch eine öffentliche Telefonstation, der caseta telefónica, sowie ein Computerzentrum mit Internetanschluss ist die Kommunikation nach außen möglich.

Analco1_web

Die zapotekische Gemeinde San Juan Evangelista Analco. Foto: Merlin Austen

Analco ist eine der zahlreichen Gemeinden Oaxacas, die sich über das Prinzip usos y costumbres organisieren. Die Autoritäten der Gemeinde werden also nicht mittels eines demokratischen Wahlprozesses in ihre Ämter erhoben, sondern müssen ein gemeindeinternes Ämtersystem durchlaufen. Diese meist unentgeltlichen Dienste an der Gemeinschaft beruhen auf den Strukturen des cargo-Systems. Politische Parteien spielen in Analco eine untergeordnete Rolle.

Die rückläufige Einwohnerzahl ist vor allem der Migration geschuldet, die auf mehreren Ebenen eine wichtige Rolle spielt. Ab dem 16. Lebensjahr verlassen viele Jugendliche die Gemeinde, um in Ixtlán oder Oaxaca weiterführende Schulen oder Universitäten zu besuchen. Außerdem hat fast jede(r) Bewohner(in) Analcos Verwandte, die entweder in Oaxaca de Juárez oder Mexiko-Stadt leben. Eine auffallend große Anzahl gebürtiger Analqueños ist aus wirtschaftlichen Gründen in die USA emigriert. Man kann jedoch beobachten, dass die Zahl der Rückkehrer und Rückkehrerinnen ebenfalls beachtlich ist und, dass diejenigen, die sich gegenwärtig in der Migration befinden, enge Verbindungen zu ihrem Dorf aufrechterhalten. So gibt es auch in der Diaspora politische Organe, die sich mit den Belangen der Heimatgemeinde beschäftigen und gezielt Geld zurückschicken. Der Geldtransfer findet entweder auf privater Ebene statt, etwa um sich ein Haus für die Rückkehr zu bauen, oder geht direkt an die Verwaltung des Dorfes, um öffentliche Projekte zu finanzieren.

Das wirtschaftliche Einkommen der Bewohner und Bewohnerinnen Analcos basiert auf vier Säulen. Neben der Subsistenzwirtschaft spielen Ackerbau und auch in kleinem Rahmen Viehzucht eine wichtige Rolle. Zwar reichen die produzierten Mengen nicht aus, um sie auf dem Markt zu verkaufen, allerdings wird im Dorf damit getauscht und sie bilden die Grundlage für einen nicht zu vernachlässigenden Teil der Ernährung. Usos y costumbres bedeutet auch, dass es innerhalb der Gemeinde offiziell keinen privaten Besitz von Agrarland oder Waldflächen gibt. Über alle Entscheidungen, die das Gemeindeland betreffen, muss im Kollektiv der comuneros und comuneras abgestimmt werden. Die zweite wirtschaftliche Säule bilden der sekundäre und tertiäre Sektor. Kleinere Läden, die ihre Waren meist aus Oaxaca oder Ixtlán beziehen, sowie das Baugewerbe sind hier zu nennen. Die dritte Säule sind die schon erwähnten Geldsendungen von auswärtigen Familienmitgliedern und Diaspora-Organisationen, die eine wichtige Rolle spielen. Auch staatliche Programme dürfen als Wirtschaftsfaktor nicht unbeachtet bleiben. So werden etwa Lebensmittelpakete für kinderreiche Familien, Schulspeisungen und eine Altersrente für Personen über 60 Jahre von staatlicher Seite zur Verfügung gestellt.

Um der Abwanderung entgegenzuwirken und zusätzliche ökonomische Perspektiven für die vor Ort lebende Bevölkerung zu schaffen, hat die Gemeinde im Jahr 2006 ein Ökotourismusprojekt ins Leben gerufen. Da eigene finanzielle Mittel für die Umsetzung fehlten, wurden konkrete Vorhaben formuliert und für diese Gelder bei öffentlichen Stellen, wie der Comisión para el desarrollo de los Pueblos Indigenas (CDI), beantragt. So sind bereits einige cabañas, aus Holz errichtete Unterkünfte, sowie ein comedor entstanden. Von besonderer Bedeutung sind die thematischen Wanderwege, die durch den Wald und das Umland des Dorfes führen. Diese sollen den Besuchern und Besucherinnen die enorme Biodiversität der Region näher bringen und für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Natur sensibilisieren.

Unser Forschungsprojekt in Analco fokussierte auf die Entwicklung und Umsetzung des Ökotourismus-Projektes und vor allem auf die damit eng verbundene Selbstwahrnehmung der Bewohner und Bewohnerinnen sowie auf die Selbstrepräsentation der Gemeinde als touristischer Ort. Darüber hinaus wollten wir wissen, wie das Projekt in der Gemeinde perzipiert wird und welche Erwartungen, Vorstellungen und Ängste damit einhergehen. Konkret haben wir versucht, einen Einblick in die Natur- und Raumwahrnehmungen der Bewohner und Bewohnerinnen zu bekommen. Wir gingen davon aus, dass durch dieses Projekt auch Veränderungen in der Beziehung von Mensch und Umwelt ausgelöst würden. Um die Prozesse der Entscheidungsfindungen sowie der Vorstellungen von Raum- und Naturkonzepten zu verstehen und zu kontextualisieren, befassten wir uns intensiv mit der Geschichte der Gemeinde, ihrer Sozialstruktur und wirtschaftlichen Situation sowie auch mit den Wertevorstellungen der Bewohner und Bewohnerinnen.

Analco2_web

Ökotourismus-Projekt in Analco. Foto: Merlin Austen

Während unseres Aufenthaltes in Analco haben wir nacheinander bei drei Gastfamilien gewohnt, von denen jeweils ein Mitglied dem Komitee für Ökotourismus angehörte. Die Familien unterschieden sich in Bezug auf ihre soziale Position innerhalb der Gemeinde stark voneinander. Mittels teilnehmender Beobachtung und informeller Gespräche konnten wir einen guten Einblick in die Strukturen des Dorfes aus verschiedenen Perspektiven gewinnen. Darüber hinaus haben uns die aktuellen sowie ehemaligen Autoritäten eine Vielzahl von Informationen zur Verfügung gestellt und erklärten sich zu strukturierten Interviews bereit. Mittels assoziativer und kognitiver Methoden haben wir uns abstrakten Konzepten, wie der Raum- und Naturwahrnehmung, genähert. Dank der Offenheit der Bewohner und Bewohnerinnen waren die Bedingungen für unsere Feldforschung in Analco vom ersten Tag an ideal. Das Komitee für Ökotourismus begleitete uns auf Wahrnehmungsspaziergänge, führte uns zu für die Gemeinde relevanten Orten und weihte uns in die Geschichten und Legenden Analcos ein. Dazu bedurfte es nur weniger Nachfragen. Auch von Menschen, die wir bei Spaziergängen auf der Straße trafen wurden wir häufig nach Hause eingeladen oder an Ort und Stelle in ein Gespräch verwickelt. Dies mag auch daran gelegen haben, dass wir zumindest zu Beginn unseres Aufenthalts von einigen Dorfbewohnern und Dorfbewohnerinnen als Touristen und nicht als forschende Ethnologen wahrgenommen wurden, obwohl wir immer wieder versuchten, unsere Rolle zu verdeutlichen und den Grund unseres Aufenthalts ausführlich diskutierten. Auch über diese Erfahrung wurde deutlich, dass der Aufbau von sozialen Beziehungen im Feld ein zeitintensiver und vielschichtiger Prozess ist und sich die eigenen Wahrnehmungen deutlich von denen der Partizipantinnen und Partizipanten unterscheiden können. Daher sind eigene Positionierungen, Vorstellungen und Herangehensweisen stetig zu reflektieren.


Servicebereich