Ethnologie
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Vortrag im Oberseminar: "Flirten, Filme, Kautabak"

Am Montag, den 21.05.2012 referiert Martin Schleiter über "die 'kulturelle Marge' einer VideoCD-Film Distribution am Beispiel einer Videonacht in einem Dorf in Odisha, Indien"

21.05.2012

Vortrag im Oberseminar:

Markus Schleiter (Frobenius-Institut an der Goethe-Universität, Frankfurt am Main):

Flirten, Filme, Kautabak – Die „kulturelle Marge“ einer VideoCD-Film Distribution am Beispiel einer Videonacht in einem Dorf in Odisha, Indien

VideoCD Filme in Santali, der Sprache der „indigenen“ Bevölkerungsgruppe der Santal,  sind populäre Spielfilme mit einer hohen Verbreitung in ländlichen Gebieten der indischen Bundesstaaten Odisha, Jharkhand und West-Bengal. Die rasante Entfaltung dieser neuen Filmdistribution seit Beginn der letzten Dekade lässt sich durch ökonomische und technologische Vorbedingungen erklären. Insbesondere die zahlreichen Kinofilmindustrien Indiens etablierten bereits eine Distributions-Infrastruktur für den Verkauf von VideoCDs. Ebenso ermöglichen Neuerungen in der Digitalkameratechnik eine erhebliche Senkung der Produktionskosten für Budget-Filme. Meine ethnographische Analyse einer Dorf-Videonacht verweist auf eine kulturspezifische Form des Filmschauens dort vor Ort. Ich werde daher ergänzend zu den techno-ökonomischen Vorbedingungen nach der Bedeutung kultureller und sozialer Faktoren für die Verbreitung von Filmen fragen, und eine „kulturelle Marge“ der Filmverbreitung beschreiben.

In dem Vortrag werde ich darstellen, auf welche Weise eine Videonacht in den kulturellen Kontext des Dorfes in Odisha eingebettet ist. Eine Filmvorführung belegt dort den „kulturellem Raum“ von Tanzfesten. Bei einem Tanzfest, und damit auch einer Videonacht, ist die Intention der Besucher vor allem über die dort erlebte Zeitspanne eines gemeinsamen Vergnügens die Bindungen zu Personen – welche auf Basis von Verwandtschafts- oder Familienwerten definiert sind – zu verstärken und zu festigen. Dieses gemeinsame Vergnügen ist dabei über das Filmschauen hinaus bedeutungsvoll, da in der Gesellschaft der Santal und der Birhor – wie in vielen settings Südasiens -  einer Bindung an sich (Hindi: rishta, Santali: sagai) ein Wert zugeschrieben wird. Ebenso gelten Tanzfeste bei den Santal als der „traditionelle“ kulturelle Raum für (nicht zulässige) romantische Begegnungen, und Videonächte gewinnen damit an Attraktivität auch daher, dass sie zugleich der Ort für (heimliches) Flirten der Jugendlichen sind. 

Auf Grundlage der ethnographischen Beschreibungen werde ich argumentieren, dass VideoCDs über ein Gefüge aus Alltagshandlungen in das Dorf gelangen und ein solches Netz aus kulturellen Praktiken als „kulturelle Marge“ einer Filmdistribution zu sehen ist. Damit sind die zahlreichen Videonächte im Dorf nicht vordringlich als kulturelle Veränderungs- oder auch Aneignungsprozesse in Folge der Verfügbarkeit eines neuen Mediums zu sehen.  Vielmehr sind es umgekehrt eine Vielzahl unterschiedlicher kultureller Praktiken der Auseinandersetzung mit Filmen, die in einer beständigen wechselseitigen Referenz zu weiteren bedeutungstragenden - teils „traditionellen“ – kulturellen Praktiken ohne direkten Bezug zu Filmen, eine „kulturelle Marge“ für das Vorführen von Filmen formieren; und damit einen Medienfluss in dörfliche Gegenden bedingen. 

Wann? Montag, 21.05.2012, 18 Uhr

Wo? Oettingenstr. 67, Raum 123


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